Nach über 27 Jahren ist Schluss

Erklärung zu meinem Austritt aus der Partei DIE LINKE.

Steffen Bockhahn

Weil ich nicht mehr glauben kann, dass es wieder besser wird.

AM 1. Mai 1995 bin ich im Alter von 16 Jahren aus voller Überzeugung in die
Partei des Demokratischen Sozialismus eingetreten. Voller Begeisterung Mitglied zu
sein, in einer klar und konsequent antifaschistischen Partei, mitten in den
Baseballschlägerjahren und als einer von wenigen jungen Menschen in der Zeit,
ging ich den Weg. Ich war beeindruckt von Menschen wie Lothar Bisky mit seiner
klugen und ruhigen Art. Mich hat fasziniert, wie Andreas Bluhm sich für Schülerinnen
und Schüler eingesetzt hat und dabei Augenhöhe für uns herstellte, wo sie andere
uns nicht gewähren wollten oder einem Wolfgang Leuchter, der in Rostock vieles
zusammen hielt und dabei offen für Neues war.

Unvergessen sind mir viele Bundesparteitage, bei denen wir bis tief in die
Nächte hart in der Sache um gute Kompromisse gerungen haben, in Zählpausen
gemeinsam Lieder anstimmten und dann völlig egal war, wie sehr man in der Sache
auseinander war. Am Ende waren wir in einer Partei und haben uns als Menschen
und Genossen geachtet. Grossartige Persönlichkeiten wie Angela Marquardt, Halina
Wawzyniak, Caterina Muth, Luise Neuhaus-Wartenberg, Benni Hoff, Stefan Liebich,
Klaus Lederer, Matthias Höhn, Mark Seibert und, nie zu vergessen, Dominic Heilig
wurden enge Begleiter und Partner. Daneben waren so viele andere Frauen und
Männer, mit denen ich mal mehr und mal weniger eng zusammen arbeiten konnte
und durfte. Sie sind Teil der mehr als 27 Jahre, der 10.159 Tage, die ich nun Mitglied
gewesen bin.

Schon lange muss ich mir eingestehen, dass ich in DIE LINKE. von heute nicht
mehr eintreten würde. Der Verbleib war nur noch mit Erinnerungen und
Freundschaften zu begründen und mit dem für mich Unvorstellbaren, nicht Mitglied
einer Partei zu sein. Doch nun ist es soweit. Leider.

In den vergangen Jahren habe ich immer wieder einmal versucht, mich
einzubringen und DIE LINKE. wieder mitzugestalten. Das ist nie gelungen, weil
persönliche Differenzen zu groß waren oder der Widerspruch einfach zu unbequem.
Mit Sicherheit mache ich Fehler und habe genug davon gemacht. Das allein wird es
aber nicht sein. Der oben beschriebene Wille, gemeinsam gute und pragmatische
Lösungen zu finden, ist für mich nicht mehr erkennbar. Zunehmend werden auf
Parteitagen nur noch Bekenntnisse ausgetauscht. Wer am lautesten ruft, bekommt
den meisten Zuspruch, scheint es. So mache ich nicht Politik.

Auch kann ich viel was manche Landtagsfraktion und erst recht die
Bundestagsfraktion äußert oder duldet, nicht nachvollziehen. Aber Fraktionen
entstehen durch Listen, die von Parteitagen aufgestellt werden. Zu diesen
Parteitagen fahren schon lange viele Leute, die ähnlich denken und fühlen wie ich
nicht mehr. So kommt es dann auch, dass nach meinem Empfinden in den
vergangenen Jahren immer mehr und immer öfter Menschen in Funktionen
gekommen sind, für die sie auch charakterlich nicht geeignet waren. Aus einer
ideellen Gemeinschaft ist zunehmend eine Beutegemeinschaft geworden. Und so
entfernt man sich dann immer weiter voneinander.

Die Partei, in die ich eingetreten bin, war immer auf der Seite der Schwächeren,
war internationalistisch, achtete das Völkerrecht und hat Diktaturen gerade aus der
eigenen Geschichte heraus scharf kritisiert. DIE LINKE. schafft es nicht, den
faschistischen Diktator Putin als solchen zu benennen und zu ächten. Es gelingt ihr
nicht, ihn klar zum Täter zu machen und die von ihm zu verantwortenden
Kriegsverbrechen in der Ukraine anzuprangern. Sie schafft es nicht einmal, ihn für
die mehr als 200.000 getöteten russischen Soldaten anzuprangern. Putin ist ein
Massenmörder, nicht nur an anderen Völkern sondern sogar an seinem eigenen.
Was ist so schwer daran, das zu benennen und sich unmissverständlich
abzugrenzen?

Warum werden stattdessen Scheindebatten über die NATO und die USA
geführt? Alle Länder Osteuropas hatten die freie Entscheidung sich für eine Nähe zu
Russland oder eine Westbindung zu EU und NATO zu entscheiden. Sie könnten
auch heute noch getroffene Entscheidungen verändern. Allein sie tun es nicht. Das
mag schmerzhaft für manchen sein, aber es ist deren Entscheidung. Und wenn eine
deutsche linke Partei Friedensgespräche fordert, verbunden mit der Aufforderung an
die Ukraine auch Zugeständnisse zu machen, dann ist diese linke Partei nicht mehr
links, nicht mehr internationalistisch und nicht mehr auf der Seite der Schwächeren.
Das Völkerrecht spielt in der Betrachtung auch keine Rolle. Und dann ist es eben
nicht mehr die Partei, in die ich eingetreten bin.

Es ist bedauerlich, dass DIE LINKE. es nie geschafft hat, ehrlich über moderne
Außen- und Sicherheitspolitik zu sprechen. Vielmehr hat sie sich Denkverbote
verordnet und Debatten verboten. Das macht sie in einer Welt zunehmender
Konflikte zunehmend unglaubwürdig.

Absolut untragbar für mich ist nun aber, dass man auch im Parteivorstand
mehrheitlich bereit ist, gemeinsam mit rechtsradikalen für den Frieden zu kämpfen,
im übrigen aus rein deutscher Motivation heraus. Zwar wird (bisher) nicht zu der
Demonstration aufgerufen, doch es erfolgt auch keine Distanzierung. Somit macht
sich die Partei gemein mit der Position der Aufruferinnen, wonach lediglich Symbole
verboten sein sollen, man aber ausdrücklich bereit ist, mit AfD, NPD, Blood &
Honour, etc. zu demonstrieren. Das ist nicht die konsequent antifaschistische Partei,
in die ich eingetreten bin.

Auch in vielen Bereichen der Sozialpolitik ist DIE LINKE. hinter der Zeit zurück
geblieben. Stets einfach mehr zu fordern, ist noch nicht links. Stets ungeprüft
Gewerkschaftspositionen zu übernehmen, ist zu wenig für eine Partei. Was in den
Bundesländern, in denen DIE LINKE. die Sozialressorts führt an moderner linker
Politik gemacht wird, hat mit dem Programm der Partei oft wenig zu tun. Das ließe
sich fortsetzen. Leider.

Der Zustand der LINKEN ist bedauernswert und doch selbstverschuldet. Dabei
wird gerade in diesen Zeiten eine starke, emanzipatorische linke Partei so dringend
gebraucht, wie es lange nicht mehr der Fall war. Die Gegensätze zwischen arm und
reich werden global, europaweit und in Deutschland immer größer und nehmen an
Schärfe zu. Rechte und neurechte Gruppen arbeiten äußerst erfolgreich an der
Zersetzung der Demokratie und des Zusammenhaltes in der Gesellschaft. Da
braucht es eine Partei, die mit modernen linken Konzepten und konkreten Ideen
Angebote macht, statt Zeigefinger zu heben und auf moralischer Überlegenheit zu
bestehen. In eine solche Partei würde ich sofort eintreten. Wenn DIE LINKE. so eine
Partei wird, komme ich gern wieder. So wie die Partei heute ist, kann ich sie nicht
mehr aushalten. Also muss ich gehen. Leider.

Ich bleibe links. Ich mache weiter linke Politik und das aus Überzeugung.